Philanthrocapitalism: Alles schön, was glänzt?
In großen unternehmerisch geführten Stiftungen gewinnen Kennzahlen, Effizienzbetrachtung und ökonomisches Kalkül zunehmend an Bedeutung. Doch wird man komplexen gesellschaftlichen Problemen mit dieser Herangehensweise gerecht? Zweifel sind angebracht.
In den letzten 15 Jahren näherten sich Philanthropie und Unternehmertum immer weiter an. Unternehmerische Begriffe halten Einzug in die Welt des Stiftens und Spendens. Der Venture Philanthropy-Ansatz kann seine Wurzel im Venture Capital nicht verhehlen. Konzepte wie Social Return on Investment haben ihren festen Platz, wenn es um die Wirkung von Investitionen in das Gemeinwohl geht.
Kritische Beobachter haben für diese Entwicklung den Begriff des «philanthrocapitalism» geprägt. Mit dem Philanthrokapitalismus wird eine Verschränkung von Philanthropie und unternehmerischem Denken beschrieben. Philanthropie ist dann mehr als Freigiebigkeit. Durch Innovation und strategische Unternehmensplanung sollen Effizienz und Wirksamkeit gesteigert werden.
Im Fokus der Debatte stehen vor allem die grossen Stiftungen, wie etwa die Bill and Melinda Gates Foundation und die Chan Zuckerberg Initiative des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg und seiner Frau Priscilla Chan.
Die Chan Zuckerberg Initiative wurde 2015 als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Limited Liability Company, LLC) in den USA gegründet. Die Besonderheit liegt hier darin, dass die Gründer auf die Steuervorteile der Gemeinnützigkeit bewusst verzichten. Damit unterliegen sie keinen steuerlichen Einschränkungen in ihrer Tätigkeit. Insbesondere können sie selbst unternehmerisch tätig werden und in andere Unternehmen investieren.
Zudem wird auch das politische Lobbying nicht durch das Gemeinnützigkeitsrecht eingeschränkt. Beobachter sehen darin ein klares Beispiel dafür, dass die Grenze zwischen Philanthropie und marktwirtschaftlichen Unternehmungen verschwimmt.
Philanthropie durch mehr und effektivere Philanthropie verbessern – warum nicht?
Ein weiterer Kritikpunkt ist die schiere Grösse dieser neuen philanthropischen Organisationen. Mit ihrer herausragenden Position im Markt der Gemeinnützigkeit geht eine besondere Machtstellung einher, die der Monopolbildung im wirtschaftlichen Bereich ähnlich erscheint.
In diesem Kontext stellen sie demokratietheoretische Fragen. Die Gates Foundation steht öffentlich in der Kritik, dass sie Einfluss auf bestimmte medizinische Entwicklungen weltweit habe, ohne dabei demokratisch kontrolliert zu werden.
Grosse Akteure neigen zudem tendenziell weniger dazu, mit kleinen zivilgesellschaftlichen Organisationen zu kooperieren. Einerseits verfügen sie über genügend eigene Mittel, selbst operativ tätig zu werden. Andererseits neigen sehr grosse Stiftungen dazu, nur noch mit grossen Partnern zusammenzuarbeiten, um die Zahl der einzelnen Aktivitäten nicht ins Uferlose wachsen zu lassen.
Forderungen aus dem Sektor
Ein aktueller Bericht der Stiftungsvereinigung Wings mit dem Titel «The Philanthropy Transformation Initiative Report» zeigt, welche Veränderungen im Philanthropie-Sektor im Gange sind und wie existenzielle globale Herausforderungen angegangen werden können.
Die Grundsätze des Reports sollen philanthropischen Institutionen als Leitfaden für die Transformation dienen.
In Teilen zielt der Bericht offensichtlich auf die als problematisch angesehenen Tendenzen des «philanthrocapitalism» ab. Insbesondere die Grundsätze «share power» und «work with others» stellen die Machtposition grosser unternehmerisch geführter philanthropischer Organisationen in Frage.
Effektivität steigern und Erfolg messen als zentrales Element von Philanthrokapitalismus
Ziel von philanthropischem Engagement ist es, effektiv zu helfen und dies auch so effizient wie möglich zu tun. Der Drang zur Effektivität birgt jedoch auch Gefahren. Der Versuch, nicht nur die Aktivitäten, sondern auch die kurz- und langfristigen Wirkungen rigoros mit Daten zu erfassen, stösst in der Wirklichkeit häufig schnell an Grenzen.
Dann kann es dazu kommen, dass nur noch die leicht und klar messbaren Ziele angestrebt werden – und wichtige Veränderungen in komplexen Systemen als «zu schwierig» aussen vorgelassen werden.
Besonders problematisch kann dabei die zeitliche Dimension sein. An Quartalsberichte gewöhnte Unternehmer und Manager müssen viel Geduld lernen, um angesichts der langen Zyklen gesellschaftlicher Veränderungen bei der Stange zu bleiben.
Die Priorisierung quantifizierbarer Metriken und kurzfristiger Ergebnisse kann dazu führen, dass langfristigen systemischen Veränderungen und der Notwendigkeit umfassender kollektiver Massnahmen nicht genügend Aufmerksamkeit zuteil wird.
Abgrenzung eigener Interessen
Sind philanthropische Organisationen im nahen Umfeld des unternehmerischen Engagements ihrer Stifter und Investoren tätig, stellt sich schnell die Frage, ob hier die Interessenssphären sauber getrennt bleiben.
Wenn die Chan Zuckerberg Initiative in digitale Infrastruktur im Bildungsbereich investiert, kann das sicher auch Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Angeboten wie Facebook oder Instagram haben, die zu Marc Zuckerbergs Meta-Konzern gehören. Und auch bei der Gates Foundation des Microsoft-Gründers Bill Gates lässt sich – nicht nur im Bildungsbereich – der Glaube an die Segnungen digitaler Lösungen nicht verhehlen.
Philanthrokapitalismus – kritisch betrachtet
Die Kritik am «philanthrocapitalism» lässt sich in fünf Punkten zusammenfassen.
Ungleichgewicht der Macht: Konzentrieren sich die Macht und der Einfluss in den Händen weniger wohlhabender Individuen?
Fehlende demokratische Prozesse: Philanthrokapitalismus operiert oft mit einem Top-Down-Ansatz, bei dem die Stifter und Investoren die Richtung und Umsetzung ihrer Initiativen allein bestimmen.
Marktorientierte Lösungen und Ungleichheit: Der Philanthrokapitalismus legt grossen Wert auf marktorientierte Lösungsansätze, welche messbare Ergebnisse liefern und unternehmerische Methoden nutzen. Obwohl dieser Ansatz Innovation und Effizienz fördern kann, besteht die Gefahr, dass bestehende Ungleichheiten verstärkt und marktferne Probleme ausser acht gelassen werden.
Vereinfachung komplexer Probleme: Komplexe soziale Probleme werden oft zu stark vereinfacht, indem der Fokus auf Probleme gelegt wird, die sich mit einfachen Geschäftsmodellen lösen lassen. Soziale Herausforderungen sind aber häufig tief verwurzelt, systemisch und vielschichtig und können nicht allein durch individuelle Interventionen effektiv angegangen werden.
Mangelnde Rechenschaftspflicht und Evaluation: Im Gegensatz zu staatlichen oder institutionellen Systemen operieren private Organisationen mit begrenzter Transparenz und wenig regulatorischer Kontrolle.
Ende gut – vieles gut
Das unternehmerische Engagement im gesellschaftlichen Bereich hat zweifellos positive Aspekte hervorgebracht, die zu messbaren Fortschritten bei sozialen Problemen führen. Dennoch ist es wichtig, auch die Kritikpunkte nicht zu verschweigen.
Durch einen sinnvollen Umgang mit Machtungleichgewichten, der Förderung von demokratischen Prozessen und einer angemessenen Rechenschaftspflicht kann dem Philanthrokapitalismus zu einer transparenteren und verantwortungsbewussteren Form des sozialen Engagements verholfen werden.