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Essay

Das Vorbild MacKenzie Scott

von Anna Henrichsen

Mehr als 14 000 000 000 US-Dollar – so viel hat MacKenzie Scott in wenigen Jahren an über 1 600 gemeinnützige Organisationen gespendet. Damit gilt sie als eine der grosszügigsten und originellsten Philanthropen der Welt. Und als Verkörperung von Vertrauen.

MacKenzie Scott ist eine beeindruckende Frau. Doch es sind nicht nur die enormen Beträge, die sie spendet, die ihr Aufmerksamkeit bescheren. Es ist auch die Art und Weise, wie die amerikanische Philanthropin spendet. Denn die ausgewählten Organisationen erhalten das Geld ohne Auflagen oder Projektbindungen zur freien Verfügung.

Trust-based philanthropy als neuer Weg

Seit Jahrzehnten kämpfen gemeinnützige Organisationen auf der ganzen Welt mit einem zentralen Finanzierungsproblem: Während es relativ aussichtsreich ist, für konkrete Projekte und spezifische Zwecke Mittel einzuwerben, sind nur wenige Stiftungen oder Spender bereit, die laufenden Kosten von Organisationen zu finanzieren.

Das hat im Wesentlichen zwei Ursachen: Zum einen besteht der (manchmal unausgesprochene) Verdacht, Verwaltungskosten seien Ausdruck von Ineffizienz und freie Mittel würden von den Organisationen zu beliebig verwendet. Zum anderen konzentrieren sich viele Stiftungen und Spender in den letzten Jahren vermehrt auf eigene Ziele und Strategien, die sie mit Hilfe von zweckgebundenen Förderungen innerhalb eines eng gefassten Rahmens umsetzen.

Eine Vorreiterin in Sachen Transparenz

Mit ihrer Form von vertrauensbasierter Philanthropie setzt Scott ein deutliches Zeichen: Sie überlässt die Entscheidung über die Mittelverwendung ausschliesslich den geförderten Organisationen. Ihr Einfluss endet mit der Entscheidung darüber, welche Organisationen überhaupt eine Förderung erhalten. Den Organisationen wird damit ermöglicht, viel effektiver ihre jeweilige Mission zu verfolgen, indem sie die Mega-Zuwendungen vor allem in die operative Arbeit und die Sicherstellung der eigenen finanziellen Stabilität fliessen lassen.

Zudem berichten gemeinnützige Organisationen, dass das Fundraising zum Selbstläufer wird, sobald Scott eine NPO (Non Profit-Organisation) begünstigt. Dies ist ein Indikator dafür, dass der Auswahlprozess sorgfältig ausgeführt wird und dieser Vorleistung vertraut werden kann.

Doch das ist nicht das Einzige, was Scott anders macht.

Auf ihrer Webseite yieldgiving.com legt sie in einer Reihe von Essays nicht nur ausführlich ihre Motive und Perspektiven auf die Welt der Philanthropie dar. Ebenso werden alle 1604 Förderungen (Stand: Oktober 2023) einzeln offengelegt. Neben der Höhe der Zuwendung enthält die Liste Angaben zu den Empfängern, deren Zielsetzung und dem geografischen Gebiet, in dem sie tätig sind. Die Liste kann vollständig heruntergeladen werden. Diese Art von Transparenz sucht in der Welt der Philanthropie ihresgleichen.

Undurchsichtige Auswahlprozesse und Entscheidungen im Hinterzimmer?

Weniger leicht nachvollziehbar ist hingegen der Auswahlprozess. Nach Scotts Angaben auf der Webseite erfolgt die Recherche ohne Beteiligung der jeweiligen Organisationen, um diese nicht mit aufwändigen Antragsprozessen zu belasten.

Involviert sei neben einem kleinen internen Team ein grosses Netzwerk externer Berater. Ebenfalls nicht öffentlich sind die Auswahlkriterien, nach denen Organisationen in die engere Wahl gezogen und über eine Förderung entschieden wird.

Mehr Chancengleichheit durch Ausschreibungen

Dieses Vorgehen hat auch Kritiker auf den Plan gerufen. Wenn sich Organisationen nicht auf Förderungen bewerben könnten, so ihr Argument, sei es weitgehend dem Zufall überlassen, ob förderungswürdige Organisationen auch gefunden und zutreffend beurteilt würden.

Inzwischen hat Scott auf diese Kritik reagiert und einen Open Call veröffentlicht, bei dem sich Organisationen initiativ bewerben konnten. In einem ersten Schritt werden 1000 Organisationen nominiert, von denen nach einem Peer-Review-Prozess und der Entscheidung eines von Scott berufenen Panels 250 Organisationen jeweils eine nicht-projektgebundene Förderung in Höhe von einer Million Dollar erhalten sollen.

Donor Advised Funds statt Stiftung für effiziente Prozesse

Im Übrigen bleibt es jedoch bei dem von Scott entwickelten Förderprozess. Sie rechtfertigt diesen vor allem durch die geringen Verwaltungskosten – sowohl auf ihrer Seite als auch auf der Seite der gemeinnützigen Organisationen. Dieser Wunsch nach Effizienz prägt ihr ganzes Vorgehen.

Anders als viele andere Philanthropen hat sie darauf verzichtet, eine eigene Stiftung mit einem grossen Apparat aufzubauen. Ihre Spenden wickelt sie über sogenannte Donor Advised Funds ab, eine Art Stiftungsfonds, die von Banken oder Stiftungen verwaltet werden. Im US-amerikanischen Recht ist das eine übliche und kostengünstige Konstruktion zur Verwaltung von Spendengeldern.

Mit dem Verzicht auf den Aufbau einer eigenen grossen Organisation und dem Ausschütten fast aller Mittel in verhältnismässig kurzer Zeit stellt sich Scott einem Trend entgegen, der nicht nur die US-amerikanische Philanthropie in den letzten Jahren wesentlich geprägt hat.

In teils aufwändigen Prozessen haben immer mehr Stiftungen und Philanthropen ihre Fördertätigkeit kritisch hinterfragt, eigene gesellschaftliche Visionen und Ambitionen formuliert sowie strategische Programme zu ihrer Umsetzung entwickelt. Dazu arbeiten sie planvoll mit ausgewählten Organisationen zusammen und kontrollieren Fortschritte mit Hilfe von vereinbarten Zwischenzielen kombiniert mit einem mehr oder weniger umfangreichen Berichtswesen.

Dagegen erscheint Scotts Vorgehen erfrischend unkompliziert – aber ist es auch strategisch fundiert? Kritiker wenden ein, Scott verspiele die Möglichkeit, mit ihren Mitteln gezielt Einfluss zu nehmen und eine bestimmte Agenda voranzubringen. Diese Kritik greift allerdings in mehrfacher Hinsicht zu kurz.

Mehr Wirkung mit ungebundener Förderung

Mit ihrer speziellen Form der ungebundenen Förderung ermöglicht Scott einer Vielzahl von Organisationen, in die eigene Personal- und Strategieentwicklung zu investieren. Es ist anzunehmen, dass dies in vielen Fällen eine erhebliche Hebelwirkung erzeugt – andere Förderer können gezielt angesprochen werden oder werden durch Scotts Zuwendung überhaupt erst auf Organisationen aufmerksam, die sie bisher nicht wahrgenommen haben.

Ebenso liegt der Auswahl der Organisationen offensichtlich eine strategische Überlegung zugrunde: Auch wenn die Auswahlkriterien für Scotts Spenden nicht detailliert veröffentlicht werden, zeigt sich in der Liste der Förderungen eine deutliche Tendenz zu Organisationen, die bisher weniger vom Stiftungskuchen abbekommen haben: Organisationen von und für benachteiligte gesellschaftliche Gruppen, in vernachlässigten Regionen und unter Leitung nicht-weisser Personen.

Daneben findet sich in der Liste «Grossspenden von 50 Millionen US-Dollar und mehr» eine illustre Auswahl international tätiger renommierter Organisationen. Auch hier stehen bestimmte Themen und Herangehensweisen erkennbar im Fokus. So erhielt die Gemeinschaftsinitiative Co-Impact eine Förderung von 50 Millionen US-Dollar – und der von Co-Impact initiierte Gender Fund sogar weitere 75 Millionen US-Dollar. Ausserdem sind unter anderem Klimaschutz- und Bildungsorganisationen als Empfänger aufgeführt.

Mehr Freiheit, weniger Kontrolle

Während viele Stiftungen und Spender eine ausführliche Berichterstattung über die Verwendung der zugewandten Mittel erwarten, verzichtet Scott auf jede Form des Monitorings oder Reportings. Sie beschränkt sich darauf, im Rahmen der Auswahl prüfen zu lassen, ob die jeweiligen Organisationen die Wirkungen ihrer Arbeit erfassen.

Man kann daran kritisieren, dass Scott so nie den gesamten Impact ihrer Förderung wird erfassen können. Auf der anderen Seite nötigt die Entscheidung Scotts dem Betrachter Respekt ab: Sie vertraut darauf, dass die geförderten Organisationen die Mittel sinnvoll einsetzen, und nimmt das Risiko in Kauf, dass das nicht in jedem Fall gelingt.

Fazit

Mit ihrer YieldGiving-Initiative stellt MacKenzie Scott völlig neue Massstäbe für vertrauensbasierte Philanthropie auf. In der sonst eher von Abhängigkeit bestimmten Beziehung von Organisationen und Geldgebern bekommen die NPOs mehr Gestaltungsmöglichkeiten, indem sie komplett frei über die Mittelnutzung entscheiden können.

Scott zeigt, wie es möglich ist, schnell und effizient Geld zu spenden, wenn der Fokus auf die Auswahl der NPOs gesetzt wird und nicht auf deren Kontrolle und Wirkungsmessung. Damit wird vorgemacht, dass vertrauensbasierte Philanthropie auch im grossen Stil und institutionalisierten Rahmen möglich und erfolgreich ist.

Scotts Mut, neue Wege zu gehen, verdient Anerkennung und Nachahmer. Dabei tritt sie selbst auf bemerkenswerte Weise in den Hintergrund und überlässt stattdessen den gemeinnützigen Organisationen die Bühne – eine Praxis, die auch in der Förderarbeit bestehender Stiftungen deutlich mehr Raum finden sollte. Scott ist damit eine Inspiration für andere und ein Vorbild dafür, die Philanthropie weiterzuentwickeln und die Welt gerechter zu gestalten.