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Essay

Die Giving Pledge-Initiative

von Anna Henrichsen

Was nützt ein riesiges Vermögen, wenn der Hamburger doch für jeden gleich schmeckt? Das fragte sich Bill Gates – und gründete gemeinsam mit seiner Frau Melinda eine viel beachtete Initiative zur freiwilligen Selbstverpflichtung von Milliardären: Lasst uns die Hälfte unseres Reichtums für gemeinnützige Projekte geben!

Was fängt ein Mensch mit einem Milliardenvermögen an? Eine Option besteht darin, das Geld zu verschenken. Viele besonders Wohlhabende entscheiden sich dafür. Sie investieren in Stiftungen oder spenden an gemeinnützige Organisationen. Viele, doch längst nicht alle – und wenn, dann häufig auch nur einen kleinen Teil ihres Vermögens.

Einen anderen Weg gehen seit Jahrzehnten unter anderem Bill Gates und Melinda French Gates. Sie brachten den weitaus grössten Teil ihres Vermögens in ihre gemeinsame Stiftung ein – und entschlossen sich, andere davon zu überzeugen, es ihnen gleichzutun. Gemeinsam mit Warren Buffet riefen sie im Jahr 2010 die philanthropische Kampagne «Giving Pledge» ins Leben.

Auch der deutsche Unternehmer Hasso Plattner, einer der Mitgründer des Softwarekonzerns SAP, gehört zu den Erstunterzeichnern von Giving Pledge, mit dem erklärten Ziel, Vorbild für andere Vermögende zu sein.

Seit 2010 hat die Initiative viel Zuspruch und Zulauf erfahren. Nach 57 Mitgliedschaften im Gründungsjahr, einschließlich der 40 Erstunterzeichner, hat sich die Zahl der «Pledgers» inzwischen mehr als vervierfacht.

Mit ihrer Kampagne wollen Bill und Melinda Gates besonders wohlhabende Menschen davon überzeugen, mindestens die Hälfte ihrer Vermögen für gemeinnützige Zwecke zu spenden – vorzugsweise zu Lebzeiten, spätestens aber im Testament. Ziel ist es dabei, großzügiger, zeitnaher und intelligenter zu spenden, um die drängendsten Herausforderungen unserer Zeit effektiv anzugehen. Bis Ende 2022 haben bereits 236 engagierte Persönlichkeiten die «Giving Pledge» (deutsch: das «Spendenversprechen») unterzeichnet.

Einzigartige Kombination aus Reichtum und Transparenz

Giving Pledge ist die weltweit größte Initiative von öffentlichen Versprechen. Der Gesamtwert des in Aussicht gestellten Vermögens wird auf bis zu 600 Milliarden US-Dollar geschätzt. Auf der Webseite von Giving Pledge kann man lesen, wer bereits unterzeichnet hat und welche Motive im Einzelnen dabei ausschlaggebend waren.

Die Welt mitzugestalten, einen Unterschied zu machen, Dankbarkeit für das eigene Leben und der Wunsch, etwas zurückzugeben – das sind die am häufigsten genannten Motive. Giving Pledge ist damit eine einzigartige Kombination von Reichtum und Transparenz von Vermögenden aus der ganzen Welt, die sich für die Gesellschaft einsetzen möchten.

Fehlende Kontrolle und Rechenschaft bei den Details

Die öffentliche Selbstverpflichtung im Rahmen der Giving Pledge ist rechtlich nicht verbindlich, und die Unterzeichner verpflichten sich nicht dazu, ihre tatsächlichen oder geplanten Spenden offenzulegen. Obwohl in den letzten zehn Jahren beträchtliche Vermögenswerte verschenkt wurden, haben bisher nur wenige Personen die Hälfte ihres Vermögens oder mehr gespendet oder zumindest öffentlich bekanntgegeben, dass sie ihr Testament dahingehend verfasst haben.

In vielen Fällen halten die Spenden kaum mit dem Vermögenswachstum Schritt. Tatsächlich haben sich die Vermögen von 62 US-amerikanischen Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt – sie stiegen von 376 Milliarden US-Dollar im Jahr 2010 auf 734 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020.

Ein Versprechen mit viel Gestaltungsspielraum

Wie die Unterzeichner ihrer Selbstverpflichtung konkret nachkommen, bleibt ihnen selbst überlassen. Kritiker weisen darauf hin, dass die meisten Giving Pledge-Spenden entweder in Familienstiftungen oder Donor Advised Funds fliessen, also Spendenvehikel, bei denen die Spender die Kontrolle über Ausschüttungen und Mittelverwendung behalten.

Während Stiftungen in den USA aufgrund steuerlicher Regelungen mindestens fünf Prozent ihres Vermögens für gemeinnützige Zwecke verwenden müssen, unterliegen Donor Advised Funds keiner gesetzlichen Ausschüttungspflicht. Deswegen ist nicht klar, wann die gespendeten Mittel tatsächlich bei Nonprofit-Organisationen ankommen.

Giving Pledge als Inspirationsquelle oder fragliches Vorbild

Bisher haben zehn Prozent der weltweiten Milliardäre Giving Pledge unterzeichnet. Sie dienen als Vorbilder für andere Milliardäre, die bisher noch kein öffentliches gesellschaftliches Versprechen abgegeben haben. Die Zahl der Milliardäre wächst kontinuierlich und hat sich allein von 2010 bis 2022 mehr als verdoppelt: von 1011 auf 2668. Dadurch wächst auch die Zielgruppe, die das Versprechen zum Wohle der Gesellschaft abgeben kann.

Allerdings gibt es auch Kritiker, die die Unterzeichner nicht als Vorbilder betrachten. Einerseits sei die Herkunft des Vermögens oft ethisch fraglich und die Unterzeichner sollten ihr Augenmerk zunächst einmal darauf richten, bessere Arbeitsbedingungen in den eigenen Unternehmen zu schaffen. Andererseits würden mit den philanthropischen Aktivitäten häufig eher Symptome und nicht Ursachen behandelt.

Zudem würden die strukturellen Rahmenbedingungen – wie wachsende wirtschaftliche Ungleichheit, Steuerpolitik oder Geschlechter- und Rassenunterschiede, die die gesellschaftlichen Probleme in den Augen der Kritiker überhaupt erst herbeiführen – nicht hinterfragt. Kurz gesagt: Die Vermögenden seien oft selbst Ursache oder Treiber für die Probleme unserer Zeit, präsentierten sich aber vor der Öffentlichkeit als Retter und Helfer in der Not.

Pledger sind nicht unbedingt die Grosszügigsten

Jährlich veröffentlicht das Wirtschaftsmagazin Forbes den «philanthropy score», in dem die Freigiebigkeit der 400 reichsten US-Amerikaner analysiert wird. Die meisten erhalten dabei eine Bewertung von 1 oder 2 bei einem Höchstwert von 5 – was bedeutet, dass sie bisher weniger als fünf Prozent ihres Vermögens gespendet haben.

74 Unterzeichner der Giving Pledge wurden in das Forbes-Ranking aufgenommen und erreichen dabei einen Durchschnittswert von 3,6. Nur wenige, wie Bill Gates, Melinda French Gates, MacKenzie Scott und Warren Buffett, erreichen einen Wert von 5, weil sie bereits über 20 Prozent ihres Vermögens gespendet haben.

Überwiegend weiss, männlich und amerikanisch

Nachdem die Initiative zunächst vorwiegend Mitglieder aus den USA aufnahm, wuchs die Anzahl der internationalen Unterstützer seit 2013 kontinuierlich an. Trotzdem ist die Mehrheit der Mitglieder noch immer weiss, männlich und amerikanisch. Zwei Drittel sind Männer, lediglich zehn Frauen haben allein unterzeichnet.

Zwei Drittel der Unterzeichner sind Männer, lediglich zehn Frauen haben allein unterzeichnet. Ebenfalls zwei Drittel kommen aus den USA, die weiteren aus 27 unterschiedlichen Ländern. Im Hinblick auf die globale Verteilung von Milliardären müssten demnach Asien und Europa stärker vertreten sein.

Die Giving Pledge präsentiert sich zudem in gewisser Hinsicht als globale Geld-Elite: Der Zugang ist ausschliesslich Milliardären vorbehalten, obwohl weltweit viele Millionen Multi-Millionäre leben, deren Vermögen genauso einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten könnte.

Eine Ergänzung vs. Ersetzung des Staates

Wenn ein Prozent der Weltbevölkerung die Hälfte des globalen Vermögens besitzt, wirft dies erhebliche Fragen nach Verantwortung und demokratischer Legitimation auf.Fraglos ist es zu begrüssen, wenn Vermögende mit ihren Spenden gemeinnützige Organisationen unterstützen und dabei auch Lücken füllen, die die staatlichen Systeme nicht schliessen können.

Zugleich ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass Vermögende und ihre Stiftungen sich für Anliegen einsetzen, die primär von ihrer eigenen Agenda geprägt und keiner demokratischen Mitsprache zugänglich sind. Je strategischer ihre Stiftungen beim Agendasetting und der Beeinflussung bestehender Strukturen vorgehen, umso wahrscheinlicher wird es, dass an die Stelle demokratischer Mehrheitsentscheidungen die Interessen und Überzeugungen Einzelner treten.

Ein Beispiel verdeutlicht diesen möglichen Konflikt. Die Bill and Melinda Gates Foundation ist einer der grössten Geldgeber der Weltgesundheitsorganisation WHO. Damit werden zum einen die Möglichkeiten der WHO im Kampf gegen Krankheiten gestärkt. Zum anderen besteht aber zumindest das Risiko, dass eine private Stiftung massiven Einfluss auf die Politik einer zwischenstaatlichen Organisation nimmt.

Fazit

Die Zahl der Millionäre und Milliardäre steigt weltweit, während die Liste globaler Probleme nicht kürzer wird. Damit steigen gerade an Wohlhabende die Erwartungen, die Welt zum Wohle aller mitzugestalten und nachhaltig zu verbessern.

Mit der Giving Pledge und der Einladung, sich öffentlich dazu zu verpflichten, einen grossen Teil des eigenen Vermögens zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen, gehen ihre Initiatoren mutig voran und haben schon mehrere hundert Milliardäre überzeugt.

Gleichzeitig wachsen die Vermögen vieler sehr Vermögender schneller als ihre tatsächlichen Spenden. Der rechtlich unverbindliche Charakter der Giving Pledge belässt ihre Unterzeichner in der Verantwortung, mit ihrem Vermögen nach eigenem Ermessen Gutes zu tun.

Die Giving Pledge regt aber in jedem Fall dazu an, durch mehr Transparenz und Austausch die Diskussion um den Stellenwert und die gesellschaftliche Verantwortung individuellen Reichtums unter besseren Voraussetzungen zu führen.