Weil ich es kann!
«System Change» – so lautet der heilige Gral besonders ambitionierter Philanthropen. Sie wollen nicht nur die Symptome gesellschaftlicher Probleme angehen, sondern die Ursachen bekämpfen. Am besten ein für alle Mal.
Manche Philanthropen wollen die Welt tiefgreifend verändern. Die einen setzen dabei auf die Unterstützung besonders vielversprechender Sozialunternehmer. Andere arbeiten unmittelbar mit Regierungen, Verwaltungen und sozialen oder Umwelt-Organisationen zusammen und erreichen dabei zum Teil Erstaunliches.
Wenn aber immer mehr sehr einflussreiche Philanthropen die Gesellschaft mit Hilfe ihres Vermögens gestalten – wird dann irgendwann die Grenze legitimer Einflussnahme erreicht oder gar überschritten?
Die Mitsprache der Zivilgesellschaft
Traditionell machen Möglichkeiten und Wirkradius von Philanthropen und Stiftungen im Vergleich zur Einflusssphäre von Staat und Wirtschaft nur einen winzigen Bruchteil aus. Insbesondere in den westlichen Ländern, in denen es herkömmlich die grössten Vermögen und Stiftungen gab, sind weite Teile des gesellschaftlichen Lebens, der Wirtschaft und des sozialen Sektors durchgehend verrechtlicht. Veränderungen erfolgen in demokratischen und parlamentarischen Prozessen, für die Umsetzung ist eine im Grundsatz demokratisch legitimierte Verwaltung verantwortlich. Der Einfluss der Zivilgesellschaft beschränkt sich auf eine Mitsprache in politischen Prozessen und eine eigene Tätigkeit überwiegend im karitativen und kulturellen Bereich.
Strategische Philanthropie als neue Herausforderung
Dieses Bild ist in den letzten Jahren ins Wanken gekommen. Nicht erst mit der Gründung der Bill and Melinda Gates Foundation haben die Inhaber privater Grossvermögen die Transformation von der klassischen Scheckbuch-Philanthropie hin zu einer strategischen, auf Veränderung von Systemen abzielenden Philanthropie begonnen.
Nie in der Geschichte der Menschheit waren mehr Vermögenswerte in der Hand einer kleinen Gruppe von Menschen konzentriert. Und immer mehr von ihnen entdecken das Feld der «catalytic philanthropy», wie ein weiterer gängiger Begriff aus der Szene lautet, als sinnstiftende und herausfordernde Aufgabe.
Getrieben wird diese Entwicklung nicht zuletzt von der Wahrnehmung, dass einerseits die globalen Krisen einander in hoher Taktung ablösen oder sich gar zu verstärken scheinen. Die Gefahren eines Klima-Kollapses, die Auswirkungen von Pandemien, Armut, Nahrungsunsicherheit, Wasserknappheit und gewaltsamen Konflikten – all diese Herausforderungen werden immer stärker medial beleuchtet und bewusster wahrgenommen. Und immer mehr Philanthropen kommen zu der Überzeugung, dass es nicht reicht, Symptome zu lindern, sondern dass es notwendig und auch möglich ist, radikale und nachhaltige Veränderungen der Ursachen herbeizuführen.
Positive Beispiele für systemischen Wandel
Ermutigt werden sie dabei durch Erfolge wie etwa den globalen Kampf gegen Polio: Aus einer Initiative von Rotary International ist – nicht zuletzt durch das beherzte Engagement einiger Gross-Spender – eine globale Bewegung geworden, in deren Folge das Polio-Virus in fast allen Ländern der Erde durch flächendeckende Impfungen ausgerottet und die Krankheit damit besiegt werden konnte. Heute (2023) ist das Virus nur noch in Afghanistan und Pakistan endemisch und es gibt weltweit nur noch wenige hundert Fälle jährlich.
Um systematische Veränderungen zu erreichen, setzen Philanthropen und Stiftungen eine Vielzahl von Mitteln und Ressourcen ein: Sie arbeiten mit anderen Gebern, aber auch mit Feld-Organisationen und häufig auch der öffentlichen Hand zusammen, beauftragen Forscherinnen und Forscher, entwickeln Strategien und finanzieren ausgewählte Organisationen und Vorhaben, zum Teil mit massiven Mitteln.
Gerade in den letzten Jahren entstand dafür geradezu ein neues Ökosystem. Plattformen wie Project Together und Catalyst 2030 unternehmen es, die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren zu unterstützen und zu orchestrieren.
Ein Vorbild ohne Fragezeichen?
Dieses weitsichtige, auf nachhaltige Veränderung abzielende Engagement wird von vielen als vorbildlich begrüsst. Doch kann man sich dieser Sichtweise uneingeschränkt anschliessen?
Bei allen guten Absichten lassen sich einige Fakten nicht ignorieren: Philanthropisches Engagement ist immer durch ein Machtgefälle zwischen Gebenden und Geförderten gekennzeichnet. Je einflussreicher die Position der Philanthropen, um so relevanter ist diese Machtbalance: So ist die Bill and Melinda Gates Foundation der zweitgrösste Geldgeber der Weltgesundheitsorganisation (WHO) – gleich nach den USA. Ist es vorstellbar, dass die Stiftung keinerlei Einfluss auf die Prioritäten und Aktivitäten der Organisation nimmt?
Weit überwiegend wird die Arbeit der Gates-Stiftung als segensreich und am Wohl der Menschheit orientiert wahrgenommen. Doch je grösser die Zahl derjenigen wird, die signifikant Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse nehmen können, um so dringender stellt sich die Frage nach der Legitimität ihrer Interventionen. Mit grossen Möglichkeiten geht eine grosse Verantwortung einher.
Bedingungen für legitimes Engagement
Für den im Jahr 2023 erschienenen Report «Influence for Good» wurden zahlreiche vermögende Privatpersonen im Hinblick auf ihre Motivationen und Perspektiven befragt. Diese wurden mit den Erkenntnissen von Expertinnen und Experten im Feld sowie Vertretern führender sozialer Organisationen abgeglichen.
Der Bericht schildert nicht nur, wie vermögende Privatpersonen sozialen Wandel initiieren oder unterstützen können. Er benennt auch klar Bedingungen und Erwartungen, die erfüllt sein müssen, um sich einerseits erfolgreich, andererseits aber auch in ethisch vertretbarer Weise auf den Weg zu machen.
Zu diesen Anforderungen gehört neben der Forderung nach weitgehender Transparenz zum Ausschluss von Interessenkollisionen eine intensive Reflexion der eigenen Motive und Kompetenzen. Eine erfolgreiche Unternehmerin oder ein innovativer Programmierer sind nicht notwendig die grössten Experten, wenn es um die Bekämpfung von Obdachlosigkeit oder von Klimawandel-Folgen für den Kaffeeanbau in Lateinamerika geht.
Der Bericht plädiert dafür, Vertreter der betroffenen Gruppen und Experten nicht nur anzuhören, sondern aktiv an Entscheidungen zu beteiligen, Einfluss und Kontrolle abzugeben und in erster Linie die Akteure im Feld und vor Ort zu stärken.
Zusammenarbeit mit dem Staat
Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Verhältnis zu staatlichen Prozessen und Institutionen. In den letzten beiden Jahrzehnten neigten viele Sozialunternehmer dazu, in erster Linie eigene Organisationen und damit private Parallelstrukturen aufzubauen. Doch auch hier gehört es zur Wahrheit, dass in vielen Bereichen öffentliche Strukturen in der Fläche alternativlos sind, von der Bildung über die Gesundheitsvorsorge und die Energieversorgung bis zum Schutz vor Kriminalität.
Erfolgreicher «system change» setzt hier eine kooperative, unterstützende Haltung der Philanthropie voraus, welche die Logiken staatlichen und demokratischen Handelns zur Kenntnis nimmt und innovative Wege der Zusammenarbeit findet.
Fazit
Ist «system change» nun der Heilige Gral der Philanthropie zur Rettung der Welt? Wenn das hiesse, den Staat und die demokratischen Prozesse aus der Verantwortung zu entlassen, wäre das sicher eine eklatante Fehlannahme.
Angesichts der wachsenden und zeitkritischen globalen Herausforderungen auf der einen Seite und historisch vorbildlosen Möglichkeiten für privates Engagement auf der anderen gibt die Orientierung auf nachhaltig wirksame Veränderung jedoch mehr Anlass zur Hoffnung als zur Sorge.
Eine kritische Reflexion des eigenen Verhaltens und eine grösstmögliche Transparenz von Interessen und Motiven tragen dazu bei, Vorbehalte hinsichtlich der ethischen Dimension dieser Form philanthropischen Handelns abzubauen.