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Essay

Stiften für die Ewigkeit?

von Michael Nenning

Die meisten Stiftungen sind «Geschenke für die Ewigkeit»: Zur Verfolgung ihrer Zwecke verwenden sie allein die Erträge ihres Vermögens. Eine zunehmend verbreitete Alternative stellt jedoch das Modell der Verbrauchsstiftung dar.

Prominente Beispiele

«I had one idea that never changed in my mind – that you should use your wealth to help people.» So wird Chuck Feeney zitiert, der Gründer der Atlantic Philanthropies. Seine Stiftungen gaben das ganze Stiftungsvermögen von über acht Milliarden US-Dollar für gemeinnützige Zwecke aus und schlossen 2021 nach 35 Jahren für immer ihre Tore. Die Laufzeit der irischen One Foundation von Declan Ryan war von vornherein auf zehn Jahre begrenzt und investierte in dieser Zeit 85 Millionen Euro.

Die Crespo Foundation in Deutschland wurde nach dem Tod ihrer Stifterin in eine Verbrauchsstiftung umgewandelt und wird ihr Vermögen bis 2039 aufbrauchen. Und die Bill und Melinda Gates Foundation wird spätestens zwanzig Jahre nach dem Tod ihrer Gründer aufgelöst – falls sie so lange existiert. Die Stifter haben bereits erklärt, die Ausgaben der Stiftung zu Lasten des Vermögens schon zu ihren Lebzeiten massiv zu steigern.

Sozialer Wandel im Fokus

Was bewegt Stifter zum «giving while living» oder jedenfalls dazu, sich mit ihren Stiftungen kein Denkmal für die Ewigkeit zu setzen – anders etwa als die Fugger oder die Rockefellers?

Der Stifterin der Crespo Foundation, Unternehmer-Erbin Ulrike Crespo, war es ein Anliegen, dass ihre Stiftung nur existieren sollte, solange man sich noch an sie als Person und Mäzenin erinnert. Ähnlich wie sie eint viele Stifter ein gewisses Unbehagen bei der Vorstellung, dass ihre Stiftung eines fernen Tages von Menschen geführt wird, die keinerlei Bezug mehr zum Stifter oder der Stifterfamilie haben.

Andere treibt die Frage um, ob es zu ihren Lebzeiten oder innerhalb der unmittelbar folgenden Generation ausreichend viele Herausforderungen gibt, deren Lösung ihr Vermögen dienen soll. «Kümmere Dich um das Heute, die Zukunft kümmert sich um sich selbst», könnte ihr Credo lauten. Die Entwicklung der letzten Jahre gibt ihnen Recht: Welcher Stifter hätte vor fünf Jahren Entwicklungen wie die Corona-Pandemie oder den Krieg Russlands gegen die Ukraine vorhersehen können – Ereignisse mit massiven Auswirkungen auf das Leben und gesellschaftliche Bedarfslagen.

Die Endlichkeit vor Augen

«Wir haben noch 17 Jahre, in denen wir unser Vermögen genau ein Mal ausgeben können.» Dieses Statement des Vorstands einer Verbrauchsstiftung illustriert anschaulich, wie sich der Mindset ändert, wenn die Stiftung nicht (mehr) auf Ewigkeit angelegt ist.

In traditionellen Stiftungen bringt das Vermögen jedes Jahr neue Erträge. Was heute nicht klappt, kann im nächsten Jahr noch einmal versucht werden. In Verbrauchsstiftungen herrscht ein ganz anderer «sense of urgency». Für grössere und langwierige Vorhaben gibt es keinen zweiten Versuch. Das Stiftungsteam muss bereit sein, auf Entwicklungen rasch zu reagieren und genau zu überlegen, wie sich seine Entscheidungen auf die eigene Wirksamkeit auswirken.

Den Blick für Wirkung schärfen

In Verbrauchsstiftungen schärft sich der Blick für das, was die Stiftung im Aussen erreicht. Fördert die Stiftung bestimmte Anliegen nur, so lange es diese gibt? Welche Veränderungen werden von Dauer sein? Oder um es mit Chuck Feeney zu sagen: «What have we got to show for it?»

Möchte eine Verbrauchsstiftung ein Vermächtnis hinterlassen, das über ihr Ende hinaus besteht, muss sie ihre Strategie am eigenen Zeitplan ausrichten. Ein Ansatz lautet, Menschen direkt zu fördern, etwa mit Stipendien. Investitionen in die persönliche Entwicklung gehen nicht verloren und setzen sich im Idealfall in nachfolgenden Generationen fort.

Einen anderen Ansatz verfolgen die Strategien transformativer Philanthropie, die auf die bleibende Veränderung von Organisationen und Systemen abzielen. Dabei spielt der Faktor Zeit eine besondere Rolle. Gesellschaftliche Veränderungen brauchen oft nicht nur Jahre, sondern Jahrzehnte.

Flexibilität und Anpassungsfähigkeit

Einer der wesentlichen Vorteile von Verbrauchsstiftungen liegt in ihrer Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an sich ändernde gesellschaftliche Bedürfnisse. Da sie nicht nur auf jährliche Vermögenserträge angewiesen sind, sondern auch den Kapitalstock ganz oder zum Teil einsetzen dürfen, können Verbrauchsstiftungen schneller auf aktuelle Herausforderungen und Krisen reagieren.

Besondere Herausforderungen

Das Management von Verbrauchsstiftungen hält besondere Herausforderungen bereit. Die Anlage des Vermögens muss auf den geplanten Verbrauch angepasst werden, damit immer ausreichend liquide Mittel zur Verfügung stehen. Beschäftigt die Stiftung eigenes Personal, bedarf es besonderer Aufmerksamkeit der Führungsverantwortlichen: Idealerweise bleiben die Besten bis zum Schluss, was eine entsprechende Incentivierung erfordern kann.

Kommunikation mit Stakeholdern

Typischerweise sind – oder werden – Verbrauchsstiftungen Förderstiftungen, die keine eigenen operativen Projekte haben oder für diese rechtzeitig Exit-Pläne verfolgen. Doch auch die geförderten Organisationen müssen sich auf die Planungen der Stiftung einstellen können.

Der Übergang in die «sunset phase» einer Verbrauchsstiftung bedarf eines echten Change-Managements, da sich Ziele und Prioritäten in der Schlussphase deutlich verändern können. Schliesslich stellen sich in der Abwicklungsphase steuerliche und juristische Fragen im Zusammenhang mit der Auflösung der Stiftung, die rechtzeitig bedacht werden müssen.

Nachhaltigkeit und Kontinuität

Trotz der genannten Vorteile behalten traditionelle auf Dauer angelegte Stiftungen ebenfalls ihre Berechtigung. Da ihr Kapital langfristig angelegt ist, können sie regelmässig Einnahmen generieren und damit kontinuierliche Unterstützung etwa r wohltätige Zwecke gewährleisten. Dies ist vor allem dann von Vorteil, wenn es um langfristige Projekte geht, die Zeit, Ressourcen und Stabilität erfordern.

Perspektiven für (zu) kleine Stiftungen

In der Schweiz verfügen mehr als 80 % aller gemeinnützigen Stiftungen über ein Vermögen von unter CHF 5 Millionen. In Deutschland ist die Situation ähnlich. Ist die Stiftung auf Dauer angelegt, erlaubt das Bemühen um Erhalt des Stiftungsvermögens aus den Erträgen nur noch eine bescheidene Stiftungstätigkeit, bei denen die Angemessenheit der Verwaltungskosten zunehmend fraglich wird.

Bleiben Stiftungen dauerhaft klein – etwa, weil erwartete oder erhoffte Zustiftungen und Erbschaften ausbleiben –, kann die Umwandlung in eine Verbrauchsstiftung dafür sorgen, dass das vorhandene Vermögen wirksam eingesetzt wird und nicht nur dauerhaft Verwaltungsaufwand verursacht. Entsprechende Regelungen können schon bei der Errichtung in die Satzung aufgenommen werden.

Generationengerechtigkeit und Erbe

Einer der zentralen Aspekte herkömmlicher Stiftungen ist ihre Ausrichtung auf die Bewahrung des Erbes und der Werte für nachfolgende Generationen. Sie ermöglichen es, über Jahrzehnte hinweg bedeutende Projekte und gemeinnützige Aktivitäten zu finanzieren, was einen bleibenden positiven Einfluss auf die Gesellschaft haben kann.

Verbrauchsstiftungen hingegen setzen eher auf die zeitnahe Verbesserung der Lebensbedingungen im aktuellen sozialen Umfeld. Beide Stiftungstypen haben ihre Berechtigung. Mit der zunehmenden Akzeptanz von Verbrauchsstiftungen hat sich das Spektrum der Möglichkeiten für Stifter und Philanthropen um eine wertvolle Alternative erweitert.