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Essay

Die Inner Development Goals

von Michael Nenning

Damit sich im Grossen etwas bewegt, muss sich erst im Kleinen etwas tun. Doch wie motiviert man Menschen dazu, sich für Zivilgesellschaft, Umweltschutz und andere gemeinnütige Ziele zu engagieren? Indem man bei ihnen selbst ansetzt!

«I’d love to change the world
But I don’t know what to do
So I’ll leave it up to you…»

Diese Textstelle stammt aus dem 1971 erschienenen Musikstück «I’d love to change the world» der britischen Bluesrock-Band Ten Years After. Songwriter Alvin Lee richtete damals seinen Appell an die Welt, dass eine nachhaltige Veränderung stattfinden müsse – nur wisse er selbst nicht, wo man anfangen solle, und er überlasse die Aufgabe der Gesellschaft.

44 Jahre später wurde 2015 mit den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs), ein umfassender Plan für eine nachhaltige Welt bis 2030 vorgelegt. Die siebzehn Ziele decken ein breites Spektrum an Themen ab, die Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Werten und Überzeugungen betreffen. Mehr zum Thema SDGs finden Sie im Insight «Die Sustainable Development Goals fördern».

Inzwischen ist es mehr als fraglich, ob die SDGs bis 2030 tatsächlich erreicht werden – zuletzt gab es in einigen Bereichen sogar Rückschritte. Auch ohne Pandemien und immer neue Krisen verläuft die Entwicklung nicht so schnell, wie es notwendig wäre. In dieser Zeit gewinnt eine Idee immer mehr Anhänger – die Idee der «Inner Development Goals».

Eine Idee wird geboren

Im Sommer 2019 treffen sich Vertreter verschiedener Stockholmer Nonprofit-Organisationen und diskutieren über die Entwicklungen in der Gesellschaft. Angesichts des sinkenden psychischen Wohlbefindens in der Gesellschaft, aber auch im Blick auf die langsamen Fortschritte bei den SDGs stellen sie sich die Frage, welche Veränderungen erforderlich sind, um die notwendigen Fortschritte zu erreichen.

Für sie ist klar: Die Haltung und die persönliche Entwicklung des Einzelnen sind Voraussetzung für den gesellschaftlichen Wandel. Aus dieser Idee formulieren die Teilnehmenden Ziele für die innere Entwicklung – das Grundgerüst für die Inner Development Goals.

Von der Idee zur Realität

Mit dem Grundgerüst in der Hand wird die Idee auf der MindShift Digital Conference an der Stockholm School of Economics im Mai 2020 zum ersten Mal öffentlich erwähnt. Bald darauf beginnt die Arbeit an einem Framework zur Erreichung der Ziele für die innere Entwicklung: Welche Fähigkeiten und Qualitäten sind am wichtigsten, damit jede und jeder Einzelne effektiv auf die Ziele für nachhaltige Entwicklung hinarbeiten kann?

Das entstandene Framework umfasst fünf Dimensionen und 23 Fähigkeiten und Qualitäten, welche für die persönliche Entwicklung von Relevanz sind.

Die IDGs als Beschleuniger für die SDGs

Die treibende Kraft hinter der Entwicklung eines IDG-Frameworks ist die Erkenntnis, dass sich die Welt nicht schnell genug verändert, um die 17 globalen Ziele zu erreichen. Da die Welt ein Spiegelbild des Menschen ist, beginnt die wichtigste Arbeit bei jedem Einzelnen selbst – an den inneren Fähigkeiten und Kapazitäten, die zum Wachstum ermutigen.

Ziel der Arbeit mit dem Framework ist es, Menschen zu bilden, zu inspirieren und dazu zu befähigen, selbst eine positive Kraft für den Wandel in der Gesellschaft zu sein und eine zielgerichtetere Sichtweise auf das eigene Leben zu finden. Die Ziele der inneren Entwicklung sind somit ein Beschleuniger, um die SDGs zu erreichen und eine Zukunft im Wohlergehen für die gesamte Menschheit zu sichern.

Die persönliche Transformation als Voraussetzung zur Erreichung der SDGs

Welche persönlichen Entwicklungen sind nötig, um zur Erreichung der SDGs beizutragen? Es geht um Veränderungen in diesen fünf Dimensionen: Beziehung zu sich selbst, kognitive Fähigkeiten, Fürsorge für andere und die Welt, soziale Fähigkeiten sowie Handlungswille.

Am Anfang steht die Beziehung zu sich selbst. Die Kultivierung des inneren Lebens und die Entwicklung und Vertiefung der Beziehung zu den eigenen Gedanken, Gefühlen und dem eigenen Körper helfen, präsent und bewusst zu reagieren und mit Komplexität umgehen zu können.

Ebenso wichtig ist die Entwicklung von kognitiven Fähigkeiten. Nur wer verschiedene Perspektiven einnimmt, Informationen bewertet und die Welt als zusammenhängendes Ganzes begreift, kann sinnvolle Entscheidungen treffen.

Die dritte Entwicklungsdimension steht unter dem Überbegriff Verbundenheit: Wertschätzung, Fürsorge und das Gefühl der Verbindung mit anderen und der Umwelt helfen, gerechtere und nachhaltigere Systeme und Gesellschaften für alle zu schaffen.

Zudem gilt es, die Zusammenarbeit und Sozialkompetenz zu stärken. Um bei gemeinsamen Anliegen voranzukommen, müssen die Menschen fähig sein, Akteure mit unterschiedlichen Werten, Fähigkeiten und Kompetenzen einzubeziehen und mit ihnen zu kommunizieren.

Schlussendlich müssen Menschen handlungsfähig sein. Dabei helfen Mut und Optimismus, alte Muster zu durchbrechen, innovative Ideen zu entwickeln und unsichere Zeiten erfolgreich zu überstehen.

Fazit

Mit der Arbeit an diesen fünf Aspekten werden die Voraussetzungen verbessert, dass sich Menschen effektiver für mehr Nachhaltigkeit und Wohlstand einsetzen. Daraus ergibt sich eine interessante Handlungsperspektive für Philanthropen, die nach alternativen Wegen suchen, wirksam sich für mehr Nachhaltigkeit einzusetzen, und die dabei beim Individuum ansetzen möchten.

1971 schrieb Alvin Lee: «… but I don’t know, what to do.» Heute würde Alvin Lee sicher anders texten.

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